"Flying Home On A V-Disc":
Für die Ablenkung
ihrer Soldaten vom grausamen "Geschäft" des Krieges haben
Heereslenker wohl in jeder Epoche gesorgt. Jedoch erst die Massenmedien
des 20. Jahrhunderts - Schallplatte, Rundfunk und Film - ermöglichten
einen hohen propagandistischen Wirkungsgrad der Truppenbetreuung: die
zeitnahe Versorgung der Soldaten mit aktuellen Informationen und Nachrichten
aus der Heimat in Ton und Bild. In diesem Zusammenhang sind die in den
USA zwischen 1943 und 1948 entstanden "V-Discs" (V für
Victory!) als "Werkzeuge" eines kulturindustriell-militärischen
Komplexes zu bewerten. Sie sollten die Soldaten bei "Laune halten",
ihre Identifikation und Motivation gewährleisten und so letztendlich
der maximalen Ausbeutung menschlicher Resourcen im Zuge einer effektiven
Kriegsführung dienen. Der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour 1941 verstärkte den Wunsch der Amerikaner, die sich gerade erst von der Depression der dreißiger Jahre erholt hatten, nach Unterhaltung: Film- und Musikindustrie erlebten einen ungeheueren Aufschwung. 1941 betrug der Umsatz mit Schallplatten in den USA ca. 50 Mio. Dollar. Angesichts der zunehmenden Verbreitung von Musik auf Schallplatten durch DJs in Radiosendungen und Jukeboxes, bangte die Musikergewerkschaft AFM (American Federation of Musicians) um die Existenzgrundlage ihrer Mitglieder. Am 1. August 1942 verkündete AFM-Präsident James C. Petrillo den Boykott der Plattenindustrie, der erst im November 1944 vollständig zurückgenommen werden sollte. Boykottbedingt konnte
die US Army ihre Truppen und Radiosender "overseas" nun nicht
mehr mit Platten aktueller Unterhaltungsmusik versorgen. Lt. George Robert
Vincent, Offizier der "Armed Forces Radio Services", war besorgt
um die Moral der Soldaten, für die Musik eine wichtige Verbindung
zur Heimat herstellte. In dieser Situation entwickelte der Musiker Howard
Bronson, Angehöriger der "Army Recreation and Welfare Section",
das "V-Disc program": Die US Army sollte fortan selbst Schallplatten
zum Zweck der Truppenbetreuung produzieren! Diese Idee Die Arbeit des V-Disc
Teams, dessen Angehörige man zum Teil aus der Musikindustrie rekrutierte,
konnte beginnen: Musikmaterial und Interpreten von "Populär"
bis "Klassik" wurden ausgewählt und Aufnahmesessions organisiert.
Viele V-Disc- Aufnahmen entstanden unter ungewöhnlichen Bedingungen:
Die Musiker begaben sich oft noch nach Auftritten oder Sessions in die
Studios und arbeiteten dann in entspannter Atmosphäre bis in die
frühen Morgenstunden weiter. Manche Aufnahmen wurden durch eine gesprochene
Botschaft an die "Boys overseas" eingeleitet. Mitgeschnitten
wurde aber auch bei Konzerten, Radioshows und Truppenbetreuungsvorstellungen
mit tragbaren Aufnahmegeräten und vermitteln einen Eindruck der damaligen
Stimmung. Ungewöhnlich
war das Format der Aus heutiger Sicht
sind die Aufnahmen des "V-Disc programs" aus mehreren Gründen
interessant: zum einen dokumentieren sie trotz des Aufnahmeboykotts den
Sound jener Jahre und ermöglichten die Zusammenarbeit von Musikern,
die aufgrund von Verträgen mit unterschiedlichen Plattenfirmen nie
zusammen hätten aufnehmen können. Die Bereitschaft, zu beweisen, genauso gut für Ideale der amerikanischen Verfassung einstehen zu können wie die Weißen, spiegelt sich auch im Engagement der schwarzen Musiker für das "V-Disc program" wieder: Louis Armstrong, Count Basie, Cab Calloway, Duke Ellington, Ella Fitzgerald, Louis Jordan, Lionel Hampton, Billie Holiday und Jimmie Lunceford - um nur einige berühmte Namen zu nennen - nahmen in den V-Disc Studios auf. So entstanden beispielsweise die letzten Aufnahmen des Pianisten und Entertainers Thomas "Fats" Waller für das "V-Disc program", bevor er im Dezember 1943 unter tragischen Umständen an einer Lungenentzündung starb. Der Anteil von "race music" - Platten im "V-Disc program" trug sicherlich zur Popularisierung afro-amerikanischer Musik auch außerhalb der schwarzen Ghettos bei und prägte die amerikanische Tanzmusik der vierziger und fünfziger Jahre. Den "Nerv" der Kriegsjahre trafen jedoch die "Crooner" - schwarze und weiße Sänger glatter, gefühlvoller und sentimentaler Balladen, wie Billy Eckstein und Frank Sinatra, die sowohl bei einsamen GIs an allen Fronten als auch bei den Frauen in der Heimat beliebt waren. Glücklicherweise
wurde die Auflage, nach Ende des Programms 1949, alle "Masters"
und übriggebliebenen Platten des "V-Disc programs" zu zerstören,
nicht allzu konsequent verfolgt: Viele "V-Disc" Aufnahmen blieben
erhalten und wurden später auf LPs/CDs wiederveröffentlicht.
Heute sind originale "V-Discs" interessante Sammlerstücke. Quellen © 2000 -2005 jumpinjive.com |